Vorschau auf den neuen Roman „Es war einmal in Deutschland“
Demnächst kommt mein zweiter Roman „Es war einmal in Deutschland“ als Ebook & Taschenbuch.
Deutschland, April 1945, die letzte Kriegswoche. Der von fünf Jahren Krieg desillusionierte Landser Heinrich desertiert, um an die Seite seiner jüngsten Tochter zu eilen, die als einzige einen Bombenangriff auf seine Heimatstadt Hagen überlebt hat. Als Heinrich unterwegs einer SS-Einheit unter dem Kommando des fanatischen Obersturmbannführers Von Starnfeld über den Weg läuft, wird der Heimweg zum härtesten Kampf seines Lebens…
Hier als Vorgeschmack das erste Kapitel.
ES WAR EINMAL IN DEUTSCHLAND – Kapitel 1
Er hört sie, als er ungefähr die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hat. Das dunkle Brummen der schweren Motoren erfüllt die Frühlingsluft und verdrängt das Gezwitscher der Vögel.
Er bleibt nicht stehen, behält den Laufschritt bei und dreht den Kopf. Sieht sie über die Straßenkuppe kommen. Ein VW Kübelwagen 82, ein BMW Kraftrad R 75 und ein Opel Lastwagen.
Deutsche.
Wehrmacht.
Kein Laufschritt mehr – er rennt.
Ein Typ in Uniform, der vor seinen eigenen Leuten davon läuft, da braucht man kein Nobelpreisträger sein, um zu wissen, dass man einen Deserteur vor sich hat. Aber was soll er sonst tun? Einfach lässig weiter traben, so als sei nichts geschehen? Hoffen, das sie ihm im Vorbeifahren einfach nur kameradschaftlich zuwinken? Ihm eine gute Reise wünschen, und liebe Grüße an die Familie? Hoffen, dass sie Wichtigeres zu tun haben, als sich mit ihm zu befassen? Zum Beispiel ihre Ärsche ins letzte, sinnlose Gefecht werfen?
Nein. Er hat keine Wahl. Er muss rennen.
Um sein Leben.
Dabei hat er bisher so viel Glück gehabt. Mehrere Wochen unterwegs. Keine Chance, die verdammte Uniform loszuwerden. Und trotzdem war es ihm immer gelungen den eigenen Leuten auszuweichen. Er hat im Dreck geschlafen, bei Wind und Wetter, hat sich von jeder Stadt, jedem Dorf, jedem Gehöft ferngehalten. Außer um hier und da mal Nahrungsmittel zu klauen. Es hätte sicher Menschen gegeben, die bereit gewesen wären, zu helfen. Aber das weiß man nicht, wenn man vor ihnen steht. Und sich einfach darauf verlassen?
Nein.
In diesen Tagen kann man niemandem trauen.
Niemandem, außer sich selbst.
Selbst dann kann man einfach Pech haben. So wie er jetzt. Vor fünf Minuten noch hat er im Wald auf der anderen Straßenseite gehockt. Hatte das letzte Stück Schokolade aus der Silberfolie gepult und sich in den Mund geschoben. Energie. Die Sonne hatte ihm wohlig ins Gesicht geschienen und er hatte diesen Moment genossen, hatte ein paar Minuten so verhaart, die Schokolade im Mund schmelzen lassen, die Sonne warm auf seiner Haut. Vielleicht sind ihm diese paar Minuten jetzt zum Verhängnis geworden.
Nein, denkt er, es ist einfach Pech.
Er hat in den letzten Jahren eine Menge Männer gesehen, die Pech hatten. Dutzende. Hunderte. Männer, die nie wieder nach Hause zurückkehren werden.
Nach Hause.
Diese zwei Worte geben ihm die nötige Kraft noch schneller zu laufen. Der schützende Waldrand kommt näher. Nicht mehr weit, fast geschafft.
Auf der Straße brummen noch immer die Motoren, aber irgendetwas an ihrem Geräusch ist anders, und er weiß auch sofort was – sie schalten. Die Angst ist wie eine eiskalte Faust in seiner Magengrube.
Ein Blick über die Schulter bestätigt, was er geahnt hat. Kübelwagen, Motorrad und Lastwagen sind von der Straße auf den Rasen gebogen. Dreck spritzt hinter ihren Reifen in die Höhe.
Sie haben ihn gesehen und sie wollen nicht an ihm vorbeifahren und ihm zuwinken.
Nein, sie heften sich an seine Fersen. Sie wollen ihn schnappen. Sie wissen, was er ist und sie wollen ihn dafür bestrafen. Das muss sein, werden sie sagen, zur Abschreckung für alle anderen.
Er hat einige gesehen, die, so wie er, alles hingeschmissen haben und nach Hause wollten. Er hat ihre Körper gesehen, wie sie an Bäumen und Straßenmasten baumelten, an Brückenpfeilern und Telefonmasten. Wie Vögel auf ihren Schultern saßen und mit spitzen Schnäbeln nach ihren Augen hackten.
Es hat ihn nicht abgeschreckt. Es hat ihn bestätigt.
So will er nicht enden. Nicht nachdem er sechs Jahre Krieg überstanden hat. Er darf so nicht enden. Er kann nicht zulassen, dass die kleine Karin ohne Vater aufwächst.
Er muss überleben.
Also rennt er noch schneller. Seine Beine fliegen über den Rasen. Einmal im Wald kann er sie bestimmt abhängen. Vielleicht verlieren sie die Lust auf dieses Spielchen, sobald es anstrengend wird. Sie werden müde sein, kaputt, erschöpft, so wie alle Soldaten.
Das hofft er jedenfalls.
Und dann tritt er in das Erdloch.
Der Schmerz explodiert in seinem Knöchel wie eine Panzergranate und schießt dann nach oben, durch sein gesamtes Bein. Er schreit und er stürzt, schlägt der Länge nach hin und für einen Moment haut es ihm die Luft aus den Lungen.
Der Schmerz ist grell und bunt und laut, aber er kämpft sich trotzdem wieder auf die Beine.
Seine Verfolger haben aufgeholt.
Er kann jetzt sogar Gesichter erkennen, die der Männer auf dem Motorrad und im Beiwagen, die der Männer im Kübelwagen, bestimmt ein Offizier, und die der Soldaten, die von der Ladefläche des Lastwagens über das Führerhaus blicken.
Weiter, treibt er sich an, weiter.
Aus dem Rennen wird ein klägliches Humpeln, der Schmerz pocht und pumpt und pulsiert.
Und dann ist er da, der Waldrand. Er taumelt zwischen die ersten Bäume, verliert das Gleichgewicht, kann sich vor einem weiteren Sturz bewahren, in dem er sich an einen dünnen Baumstamm klammert.
Ein Blick zurück. Sie haben angehalten und er sieht die Soldaten von der Ladefläche des Lastwagens springen, Maschinenpistolen und Karabiner in den Händen. Der Fahrer des Motorrads, ein hünenhafter Kerl, gestikuliert wild mit den Armen und brüllt etwas.
Er sieht noch etwas anderes.
Ihre Uniformen.
Nicht Wehrmacht.
SS.
Sie rennen auf den Waldrand zu und plötzlich glaubt er nicht mehr daran, dass sie die Lust verlieren, sobald es anstrengend wird. Nein, diese Typen sind Schäferhunde, abgerichtet und bissig, die geben nicht eher auf, bis sie ihre spitzen Zähne in sein Fleisch jagen können.
Er stolpert weiter. Weiß, dass seine Chancen auf Null gesunken sind, aber er wird trotzdem nicht aufgeben.
Er hört sie hinter sich durchs Unterholz brechen wie ein Rudel Wildschweine. Sie werden ausschwärmen und versuchen ihn in die Zange zu nehmen.
Dann fangen sie an zu schießen.
Eine Maschinenpistolen-Salve frisst sich durch Bäume und Blätter, geht aber noch weit an ihm vorbei. Der Wald ist dicht und wäre noch undurchsichtiger, wenn schon mehr Blätter an den Bäumen wachsen würden. Aber dafür ist es noch zu früh, es ist April, der Baumbewuchs noch spärlich und deswegen können sie immer sehen, wo er ist.
Der nächste Schuss kommt aus einem Karabiner und der Schütze scheint sich die Zeit genommen zu haben stehen zu bleiben und zu zielen. Das Geschoss zerfetzt dicht neben ihm die Baumrinde und spritzt sie schmerzlich in sein Gesicht.
Jetzt, direkt vor ihm, ein mächtiger, umgestürzter Baumstamm. Er wirft sich hinüber und fast im gleichen Moment fegt die nächste MP-Salve über seinen Kopf. Die Landung ist erträglich, der Waldboden weich und feucht. Er hebt den Kopf und sieht den hünenhaften Mann vom Motorrad. Ein Oberscharführer, wie die Dienstgradabzeichen verraten. Die MP in seinen Händen rattert und Heinrich zieht schnell den Kopf ein, während die Salve dumpf in den Baumstamm schlägt.
Weiterlaufen – humpeln – ist nicht drin. Sie kriegen ihn. Gar keine Frage.
Er zieht die Walther P 38 aus der Uniformjacke. Die Typen sind SS. Die wollen ihn umbringen, die werden keine Gnade kennen. Was spricht dagegen seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen?
Nichts.
Er schwingt den ausgestreckten Arm mit der Walther über den Baumstamm und da sieht er ihn wieder, den Oberscharführer, an der Spitze der Verfolger. Er drückt ab, einmal, zweimal, dreimal, die Schüsse ohrenbetäubend laut, und dann sieht er, wie der Oberscharführer seine Hand hochreißt und einen Schmerzensschrei ausstößt. Er sieht ihn in die Deckung eines Baumes taumeln. Die anderen halten inne, suchen selbst nach Deckung. Damit haben sie nicht gerechnet. Das einer wegläuft, ja, aber nicht, dass er zurück schießt.
Das ist seine letzte Chance. Er kämpft sich wieder auf die Beine und humpelt weiter. Das Adrenalin pumpt durch seine Adern und schiebt den Schmerz auf die Ersatzbank. Weiter, einfach weiter, vielleicht geben sie ja doch noch auf, vielleicht hat ihnen seine unerwartete Gegenwehr die Lust an der Jagd verdorben.
Der Boden vor ihm fällt ganz plötzlich ab.
So plötzlich, dass er es nicht mehr schafft, stehen zu bleiben.
Er verliert das Gleichgewicht und stürzt. Der Abhang ist steil und er überschlägt sich, einmal, zweimal, dreimal, und dann landet er im Wasser.
Es ist ein kleiner Bach. Ein eiskalter, kleiner Bach und einen Moment lang weiß er nicht, was intensiver ist, der schmerzende Knöchel oder die Kälte des eisigen Wassers, dass sich durch seine abgewetzte Uniform frisst und in jede Pore seines Körper dringt.
Er hockt auf allen Vieren und kann seine Verfolger hören. Auf der anderen Seite des Baches ist der Abhang genauso steil, wie der, den er hinab gestürzt ist. Da kommt er niemals hoch, und wenn, dann nur, um genau in die Schusslinie seiner Verfolger zu geraten.
Es ist vorbei.
Und so bleibt er einfach auf allen Vieren im Bach hocken, richtet nur seinen Oberkörper auf, um wenigsten ein letztes bisschen Würde zu behalten.
Er sieht den Oberscharführer nicht, der hinter ihm als erstes oben auf dem Abhang erscheint, er sieht nicht, wie der breitschultrige Mann eine Hand auf sein blutendes Ohr gepresst hat und er sieht nicht, dass er statt der Maschinenpistole jetzt eine Pistole in der Hand hält und sie mit wutverzerrtem Gesicht auf seinen Hinterkopf richtet.
Aber er muss nicht sehen, um zu wissen, was passieren wird und er denkt an die kleine Karin, die nun doch als Waisenkind aufwachsen wird. Er denkt an Elisabeth und an Brigitte und fragt sich, ob er sie gleich wieder sehen wird, sobald der Schuss gefallen ist.
„Ich will ihn lebend, Oberscharführer.“ Die Stimme ist scharf, schneidend, besitzt eine Autorität, die nicht anerzogen, sondern angeboren ist. Die Stimme eines Mannes, der immer andere angeführt hat, schon als kleiner Junge.
Kein Schuss fällt, aber er hört sie, wie sie den Abhang hinunter rutschen. Er hört das Wasser spritzen, als sie in den Bach waten, dann trifft ihn der erste Gewehrkolben in die Seite und er krümmt sich nach Luft schnappend zusammen.
Der zweite Schlag lässt nicht lange auf sich warten.