Scheißhausliteratur (6) Marathon Man
Heute ist William Goldman in erster Linie als Drehbuchautor bekannt, nicht zuletzt durch sein großartiges Buch Adventures in the Screen Trade, einer der Klassiker unter den Büchern über das Drehbuchschreiben.
Dabei hatte er, bevor er sein erstes Drehbuch schrieb, bereits mehrere Romane veröffentlicht und tat das auch während seiner Karriere als Drehbuchautor weiter, der letzte war 1986 Brothers, ein Sequel zu Marathon Man, den ich heute als Scheißhausliteratur vorstelle. Die meisten Leute werden zumindest von Marathon Man dem Film gehört haben. Die Zahnarzt-Szene ist legendär und hat Goldman nach eigenen Worten bei Zahnärzten auf der ganzen Welt berühmt-berüchtigt gemacht.
Worum geht’s? Tom „Babe“ Levy ist ein Geschichtsstudent und Marathonläufer, der durch seinen für den Geheimdienst arbeitenden Bruder Doc plötzlich zur Zielscheibe von Christian Szell, einem von Josef Mengele inspirierten Alt-Nazi wird, der in der legendärsten Szene von Roman und Film (Goldman adaptierte seinen eigenen Roman) Babe einer Zahnbehandlung der ganz besonderen Art unterzieht.
Goldmans Schreibe ist brillant. Schnell und schnörkellos, spannungsgeladen und seinem finsteren Thema zum Trotz immer voller Humor. Man könnte glauben Goldmans Schreibstil sei seiner Arbeit als Drehbuchautor geschuldet, aber tatsächlich waren es der rasante und bildhafte Stil seines Romans No way to treat a Lady, die Schauspieler Cliff Robertson an ein Film-Treatment erinnerten und Goldman seinen ersten Film-Job verschafften.
Faszinierend aus heutiger Sicht, in einer Zeit, in der so viele Geschichten, ob in Film oder Roman oder TV, immer noch eine Wendung zu viel haben müssen, ist der im Grunde simple Plot von Marathon Man. Goldman braucht gut zwei Drittel des Romans als Setup für seine Charaktere, bevor er im letzten Drittel den Fuß dann niemals mehr vom Gaspedal nimmt. Die Backstory wird dem Helden mal fix von einem der Bad Guys in einem Kapitel erklärt. Und es funktioniert wunderbar.
Wer die Romane von William Goldman nicht kennt, der macht keinen Fehler, wenn er mit Marathon Man beginnt. Zumal es einer der wenigen ist, die nach wie vor „in print“ sind.