Interviews mit Drehbuchautoren 2: SIMON X. ROST

Veröffentlicht 13. November 2017 in Drehbuch, Interview, Schreiben

So, Freunde. Hier ist das zweite Drehbuchautoren-Interview. Diesmal mit Simon X. Rost, den ich bei der Arbeit für eine englischsprachige Serie über moderne Schatzsucher kennengelernt habe.

Die Serie wurde – na? – nie gemacht. Aber wir konnten jeden Abend nach der Arbeit in irgendein Münchener Brauhaus gehen, das war auch nicht übel.

Simon ist ein umtriebiger Kerl, er schreibt Drehbücher (Bermuda Dreieck Nordsee, Helden), Romane (Der fliegende Mönch, Der Mann, der niemals schlief, Wie ein Falke im Sturm), führt Regie (Nina Undercover) – und schreibt  PLAYMOBIL-Hörspiele, was ihn eindeutig zum coolsten Motherfucker macht.

Wie bist du zum Drehbuchschreiben gekommen? Studium? Zufall? Früh? Spät? Weil du nix Richtiges gelernt hast? Erzähl mal von deinem Werdegang.

Bei mir war ziemlich schnell klar, dass das mit Naturwissenschaften zu nichts führt. Frühe Leidenschaft für Bücher, Filme, Comics, Hörspiele und Malerei. Ich hab mich nach dem Abi für Grafik-Design an allen möglichen Unis und eben auch für Film in Ludwigsburg beworben. Das hat geklappt. Dort habe ich dann Regie studiert – und mir nebenher das Drehbuchschreiben angeeignet. Nach der Aka lief beides – bis heute – immer parallel. Zunächst viel Werbung, im Laufe der Zeit kamen Spielfilme, Hörspiele und Romane dazu.

Was war das erste Drehbuch, das du geschrieben hast?

Das für meine Regieübung im ersten Jahr an der Filmakademie. Eine Geschichte über einen Deserteur.

Was war dein erstes Drehbuch, für das du bezahlt wurdest?

Ich habe 1997 einen Kurzfilm an den saarländischen Rundfunk verkauft, den ich geschrieben und gedreht habe. Also war das auch irgendwie für Drehbuch, oder zählt das nicht? Aber ich schätze, die erste Kohle für ein richtiges Drehbuch war für Spielfilm-Zuspieler, die ich für eine Sondersendung über die Sonnenfinsternis 1999 geschrieben habe. Zählt auch nicht? Okay. Dann hätte ich noch eine Förderung für einen nie verfilmten Animationsstoff anzubieten (immerhin bezahlt), On-top- Zahlungen für Regiefassungen von Spielfilmen, die ich gedreht aber nicht selber geschrieben habe, und eine Serienfolge für eine Kinder-Krimiserie beim SWR.

Was war dein erstes verfilmtes Drehbuch?

Siehe oben – dank Filmhochschule konnte ich meine ersten Bücher selber verfilmen.

Schreibst du neben konkreten Aufträgen auch Drehbücher on spec, sprich ohne vorherigen Auftrag/Bezahlung, weil du sie einfach schreiben willst/musst?

Nein, dafür habe ich glücklicherweise inzwischen keine Zeit mehr, weil ich genug bezahlte Arbeit habe. Früher habe ich aber willenlos spec-Exposés und Pitches an Produktionsfirmen geschickt, in der Hoffnung, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Hat über kurz oder lang auch geklappt.

Arbeitest du mit einem Co-Autor oder hast du schon mal mit einem Co-Autor gearbeitet? Wie stehst du dazu? Gute oder schlechte Erfahrungen?

Ja, das habe ich sogar mehrmals gemacht. Mit Derek Meister zum Beispiel verbindet mich eine langjährige Zusammenarbeit, bei der ich glücklicherweise das Script irgendwo auf halber Strecke in seine Hände legen kann und er übernimmt und gibt es mir irgendwann zurück und ich finde es großartig. Dann geht das Ganze fünf Mal hin und her, jeder überarbeitet und am Ende kann ich nicht mal mehr genau sagen, wer welche Szene geschrieben hat. Ich glaube aber, dass das eine seltene Ausnahme ist, weil Derek und ich sehr ähnlich denken und ähnlich und mit gleichem Tempo schreiben. Ich schätze mit anderen Kollegen wäre das weitaus schwieriger…

Was war deine beste Erfahrung als Drehbuchautor?

Die Auszeichnung mit dem Thomas-Strittmatter-Preis für Die Abkratzer. Ganz einfach weil das Buch letztlich aus einem Charity-Projekt mit Freunden für ein Kinderhospiz entstanden ist. Ich habe komplett auf Überlegungen zu Struktur verzichtet und einfach die Geschichte einer Figur aufgeschrieben. Dafür gab’s Drehbuchförderung und dann auch einen Preis. Vielleicht sollte ich so etwas öfter machen. Leider ist das Buch bis heute nicht verfilmt, bestimmt auch, weil nicht ganz klar ist, ob sich die Geschichte an Erwachsene oder Kinder richtet. Ich hab nämlich auch komplett auf Überlegungen zur Zielgruppe verzichtet. Vielleicht sollte ich das nicht so oft machen.

Was war deine beschissenste Erfahrung als Drehbuchautor?

Der Shitstorm zu Helden. Sicher kann man dem Film einige Vorwürfe machen, auch das Buch ist beileibe nicht perfekt. Ich habe aber eher den Eindruck, man hat auf den Film eingeprügelt, weil er so „undeutsch“ ist. Nämlich bewusst „bigger than life“, auf Effekte bedacht, mit Mut zum Pathos. Gigantisch übersteigertes Fernsehen, das gerne Kino wäre. Das hat man uns übel genommen und in Bausch und Bogen einfach mal alles verurteilt.

Dabei wurde übersehen, dass solche Produktionen international erfolgreich verkauft werden, weil man diese Geschichten auf der ganzen Welt versteht und die Schauwerte schätzt. Im Feuilleton werden komplexe, figurenorientierte, latent didaktische Filme oft über den grünen Klee gelobt – scheitern aber an der Kinokasse und auf den Fernsehmärkten. Diese Diskrepanz – diese typisch deutsche Unterscheidung zwischen U und E – finde ich dumm, weil sie den Geschmack des Publikums komplett ignoriert. Helden war erfolgreich – sowohl, was die Quote, als auch die internationalen Verkäufe angeht – trotzdem gab’s nur Watschen und das ärgert mich bis heute.

Wie stehst du zu Drehbuch-Ratgebern? Welche gelesen? Wenn ja, gibt es welche, die du magst und welche, die besser als Toilettenpapier taugen?

Tatsächlich habe ich einige davon gelesen und viele taugen zu mehr als Toilettenpapier. Ist doch klar: wenn die Leute sich halbwegs ernsthaft mit dem Thema beschäftigt haben, kommen in der Regel auch halbwegs verwendbare Tipps in Punkto Filmdramaturgie heraus. Filmdramaturgie wohlgemerkt, über Schreibstil, Schreibökonomie, plotting-Techniken und die tägliche Arbeit eines Drehbuchautors hat man da noch nicht viel gelernt.

Ich mochte Christopher Vogler und ja, auch Save The Cat und halte sie für gute Lektüre für Einsteiger. Aber mit der Lektüre allein ist, wie gesagt, noch nichts gewonnen.

John Milius behauptet bis heute steif und fest, er wüsste noch nicht einmal, dass seine Filme Akte haben. Das ist natürlich kokettiert. Aber es sagt viel darüber aus, dass man sich an alle Regeln halten kann und dennoch voll daneben liegt. Oder viele Regeln bricht und das Buch ist dennoch total unterhaltsam. Eigentlich ist es wie mit jedem Handwerk oder jedem Sport: Das meiste über das Schreiben lernt man beim Schreiben. Ich kann drei Bücher über Ausdruckstanz lesen und mich trotzdem wie eine Wurst über das Parkett bewegen…

Dein Schreibplatz? Büro, Cafè, Toilette? Wo?

Büro unten im Haus. Selten mal auch unterwegs am Laptop.

Wie sieht ein typischer Schreibtag bei dir aus?

6:30 Aufstehen, ab 7:00 am Schreibtisch. Dann kann ich drei Stunden ungestört schreiben, bevor in dieser Branche jemand anruft. Weiter mit Unterbrechungen (jetzt sind sie wach) bis 12:00. Dann Mittagsessen und Mittagsschlaf. Ab 13:00 bis 16:00 schreiben – dann den Körper bewegen. Zehn, zwölf, manchmal fünfzehn Seiten, wenn’s gut läuft.

Eine besonders bescheuerte Anmerkung seitens Produktion/Redaktion zu einem deiner Bücher:

Der Klassiker ist, dass ein Redakteur jetzt endlich auch mal in die Serie reingeschaut hat, die seit *Monaten* läuft und von allen gehyped wird (und die ich schon lange nicht mehr gucke, weil es neue spannende Serien gibt – und zwar zwei Dutzend). Und plötzlich muss unsere Hauptfigur sein wie Carrie aus Homeland oder Sherlock oder Walter White oder Bitte Name einsetzen. Da denkst du einfach nur: „Ja, Schatzi, ich war anfangs auch total angefixt von der Serie, aber was zur Hölle hat das mit unserem Stoff zu tun?“

Darf man aber nicht so sagen. Wäre dumm.

Gab es schon mal den Punkt, an dem du ernsthaft dachtest „Scheiß drauf, ich schmeiß die Brocken hin und mach was anderes“?

Ja, als es mal ganz schlecht lief und auch manchmal, wenn viel, viel Arbeit an einem Buch durch eine Besprechung quasi zunichte gemacht wird. Aber was soll’s? Das Leben geht weiter, auf Regen folgt Sonnenschein, wenn eine Tür zu geht, geht eine andere auf und noch drei Kalendersprüche später habe ich einfach weiter gemacht. Ich kann das gut und es macht mir trotz allem Spaß und andere Sachen kann ich weit weniger gut und die haben bestimmt auch ihre unschönen Seiten.

Und was anders mach ich ja ständig. Ich schreibe nicht nur Drehbücher, sondern auch Hörspiele, Werbung und Romane – diese Bereiche haben oft ähnliche Herausforderungen, aber trotzdem kommt einem das manchmal wie ein kurzer Urlaub vor. Außerdem führe ich auch Regie, da gilt im Prinzip das gleiche, wie beim Satz zuvor – aber zusätzlich komme ich da aus meinem Schreibbunker raus. Ich gehe unter Leute und bin mal kein autistischer Nerd, der den Stimmen in seinem Kopf zuhört und sie aufschreibt. Und das ist sehr erholsam…

Führst du auch Regie oder hättest du Interesse Regie zu führen?

Siehe oben, habe ich gemacht, mache ich häufig.

Hast du eine Agent*in/eine Agentur? Wenn ja, welche, und was schätzt du daran, eine zu haben? Wenn nein, warum nicht?

Ich hatte mal einen Agenten für Drehbuch, jetzt nur noch einen für die Romane. Mit dem Drehbuchagenten habe ich mich überworfen. Der Mann hat sich schlicht einfältig verhalten und seinen eigenen Job wegrationalisiert. Habe festgestellt, dass ich das nicht brauche. Wenn man es schafft, ein, zwei, drei gute Verträge in die Finger zu bekommen, kann man sich das auch selber zusammenreimen. Letztlich geht es immer um die gleichen Parameter: Kohle, Zeit, Rechte.

Ich verstehe zwar Autoren, die sagen: „Ich will nicht über Geld mit den Leuten streiten, mit denen ich dann den Stoff entwickeln soll. Wenn die mir dann in der Vertragsverhandlung böse Sachen sagen, kann ich nicht mehr mit denen am Tisch sitzen.“ Mir selber ist das aber völlig egal.

Hast du schon mal einen Roman geschrieben, oder willst du einen schreiben?

Hab ich. Drei Stück, historische Kriminalromane, eine Mystery-Thriller- Fortsetzungsserie habe ich auch geschrieben und ein weiterer Roman ist in Arbeit.Das macht Spaß, weil Du sehr viel freier als beim Film arbeiten kannst. Ist aber auch sau viel Arbeit und nicht so gut bezahlt. Trotzdem ein geiles Gefühl, wenn man sein Buch in den Händen hält.

Hast du einen Lieblings-Drehbuchautor? Ein Vorbild, eine Inspiration? Mehrere?

Ich mag Aaron Sorkin. Ich habe gestaunt, wie man walk-and-talk in The West Wing so unterhaltsam und spannend machen kann. Ich habe Newsroom geliebt und fand auch seine Spielfilme außerordentlich gut. Ich mag seinen liebevollen Blick auf Figuren, finde seine Dialoge brillant, die Mechanik der Plots ist oft verblüffend und auch verblüffend effektiv. Momentan bewundere ich Sally Wainwright (Happy Valley) über die sich quasi das gleiche wie über Sorkin sagen lässt. Selten solche Authentizität bei Figuren und Dialogen und Gefühlen gesehen.

Was ist/sind dein(e) aktuelles(n) Projekt(e)?

Ein Drehbuch für eine Reihe, die ich mit Kollegen für das ZDF entwickelt habe. Dazu noch ein Exposé für die gleiche Reihe. Mit Derek Meister schreibe ich an einem Dreiteiler über den Zirkus Krone für SAT1. Ich schreibe noch an zwei Kurzfilmen für Playmobil, an einem Treatment für eine Serie, eine dritte Fassung für ein gefördertes Drehbuch steht an und ein Imagefilm für eine wohltätige Organisation ist auch noch dabei.

Die letzten drei Filme, die dir gefallen haben:

Captain Fantastic, Deepwater Horizon, Whiplash

Drei Serien, die du momentan gerne siehst:

Modern Family, Line of Duty, Stranger Things und weniger gerne sehe ich Handmaid’s Tale, aber ich sehe es…

Die letzten drei Bücher, die du gelesen hast:

Alexander Humbolt und die Erfindung der Natur von Andrea Wulf.

Corruption von Don Winslow.

Schloss aus Glas von Jeanette Walls.

Sowie zig Bücher über den Zirkus aus Recherchegründen….

Zum Schluss: Irgendwelche weisen Worte für angehende Autoren?

  1. Schreiben heißt noch mal schreiben.
  2. Nur, weil es jemand anderes über dein Buch/eine Szene/eine Figur gesagt hat, ist es nicht wahr.
  3. Nur, weil es jemand anderes über dein Buch/eine Szene/eine Figur gesagt hat, ist es nicht Blödsinn.
  4. Du schreibst nicht *ein Buch*. Du schreibst. Von Morgens bis Abends. Jeden Tag, weil das dein Job ist. Manchmal kommen Filme dabei raus. Manchmal nur Pitches, Exposés oder Drehbücher, die nie verfilmt werden. Manchmal auch nichts. Das ist normal.
  5. Zweifel sind auch normal und müssen überwunden werden.
  6. Wenn drei Leute sagen, an der Stelle stimmt was nicht, dann stimmt da was nicht.
  7. Sei gemein zu deinen Figuren, jag sie auf einen Baum und bewirf sie mit Steinen, das ist sehr unterhaltsam.
  8. Viel lesen, viel gucken, viel schreiben, viel bewegen, viel trinken, viel leben, viel lieben, regelmäßig Zähne putzen und duschen.
  9. Vergiss alle weisen Sprüche, letztlich musst Du selber heraus finden, was für Dich funktioniert.
  10. Solche Listen müssen immer zehn Punkte haben, sonst sind sie unvollständig.

Danke fürs Mitmachen, Simon.