Interviews mit Drehbuchautoren 9: USCHI MÜLLER

Veröffentlicht 8. Januar 2018 in Drehbuch, Interview, Schreiben

Interview Nummer Neun. Heute mit Uschi Müller (Hinter Gittern, Solo Köln).

Bis der Starbucks in unserer gemeinsamen Hood dichtmachte sind Uschi und ich uns dort gelegentlich morgens über den Weg gelaufen und haben Erlebnisse von der Front ausgetauscht. Jetzt brauchen wir einen neuen Laden (obwohl der verdammte Starbucks schon lange auf dem absteigenden Ast war).

Wie bist du zum Drehbuchschreiben gekommen? Studium? Zufall? Früh? Spät? Weil du nix Richtiges gelernt hast? Erzähl mal von deinem Werdegang.

Geschrieben habe ich schon mit elf. Aber am Niederrhein war das Berufsbild „Drehbuchautor“ noch nicht so verbreitet in den 70er Jahren. Also wurde ich Lehrerin. Fast jedenfalls. Gerettet hat mich ein Schreibmaschinenkurs. Damit konnte ich schon mal Produktionssekretärin werden. Damals, Mitte der 80er, der klassische Branchen-Einstieg für Frauen. Aber später auch ein genialer Einstieg fürs Schreiben. Richtig gebracht hat das aber erst in den frühen 90ern was. Als die Privaten mit GZSZ und die ARD mit Verbotene Liebe auf den Markt kamen. Die Öffentlich-Rechtlichen hatten bis dahin ja nur Herbert Reinecker, der alles schrieb. Zumindest gefühlt.

Was war das erste Drehbuch, das du geschrieben hast?

Die Adaption einer Folge von Married With Children. 1992 versuchte RTL sich mal mit einer deutschen Version davon: Hilfe, meine Familie spinnt. Im Original ging’s um Elvis Presley, in der Fälschung um Roy Black. „Ganz in Schweiß“ hieß es. Es wurde nie gedreht, weil es zu frech war. Und Roy Black tot. Aber die Chefautoren haben mir ein Karaoke-Ständchen gesungen.

Was war dein erstes Drehbuch, für das du bezahlt wurdest?

Für das obige Buch leider nicht. Dann war ich nach diversen Shadows und Bearbeitungen von Sitcoms jahrelang erstmal Storyliner, Story Editor und Chefautorin bei zahlreichen Dailys und Telenovelas wie die oben erwähnten. Das wurde sehr gut bezahlt. Das erste, ganz und gar eigene bezahlte Buch aber war für Hinter Gittern. Da war ich insgesamt fünf Jahre. Eine großartige Zeit, in der ich sehr viel gelernt habe. Ich glaube, ich könnte aus jedem deutschen Gefängnis ausbrechen.

Was war dein erstes verfilmtes Drehbuch?

Eben dieses.

Schreibst du neben konkreten Aufträgen auch Drehbücher on spec, sprich ohne vorherigen Auftrag/Bezahlung, weil du sie einfach schreiben willst/musst?

Ich bin Schreibnutte. Und stehe dazu.

Arbeitest du mit einem Co-Autor oder hast du schon mal mit einem Co-Autor gearbeitet? Wie stehst du dazu? Gute oder schlechte Erfahrungen?

Ich war schon in Writers Rooms, als die noch gar nicht so hießen. Das wirkliche Abenteuer war für mich der Schritt in die Autonomie. Ohne das Netz der anderen. Im Gegensatz zu vielen Kollegen genieße ich das Alleinsein aber. Obwohl ich Krimis wie aktuell Soko Köln gern mit einem Co-Autor schreibe. Man kommt schneller aus den Sackgassen raus, wenn man sich die Bälle gegenseitig zuspielen kann. Auch der gemeinsame Ideenpool ist größer. Von den besseren Dialogen ganz zu schweigen. Vorausgesetzt, man kann zu zweit Dialoge schreiben. Und der andere geht einem mit seinen (kreativen) Eigenheiten nicht zu sehr auf die Nerven. Auf eine geradezu magische Weise wird dann aus eins plus eins mehr als zwei.

Was war deine beste Erfahrung als Drehbuchautor?

Lecker Brötchen. Schmutzige Witze. Eine gemeinsame Vision.

Das ist jedes Mal gut, wenn es so läuft.

Was war deine beschissenste Erfahrung als Drehbuchautor?

Wenn ich versuche, den Job einem Branchenfremden zu erklären, sag ich immer: Stell dir vor, du bist Tischler. Dein Kunde bestellt einen runden Tisch aus Eiche. Du baust den Tisch. Er guckt ihn sich an und sagt: Hatte ich mir irgendwie eckiger vorgestellt. Und heller. Du baust einen zweiten, rechteckigen Tisch, aus Birke. Er guckt wieder. Jetzt fände er quadratisch und Teakholz doch schöner. So geht es immer weiter. Bloß, dass der Tischler für jede neue Ausführung eine neue Rechnung stellt. Und das Geld auch bekommt.

Das ist jedes Mal beschissen, wenn es so läuft.

Wie stehst du zu Drehbuch-Ratgebern? Welche gelesen? Wenn ja, gibt es welche, die du magst und welche, die besser als Toilettenpapier taugen?

Lesen? Ich komm ja kaum noch zum Binge-Watching. Im Ernst, ich hab gelernt, eine Grenze zu ziehen. Die üblichen Klassiker kennt man ja sowieso. Aber Save the Cat – The Last Book on Screenwriting You’ll Ever Need von Blake Snyder wurde mir gerade erst wärmstens empfohlen.

Dein Schreibplatz? Büro, Cafè, Toilette? Wo?

Ich brauch absolute Ruhe. Am Schreibtisch zuhause. Keine Musik, kein TV, kein Streaming. Und auch keine anderen Menschen. Bis auf den Co-Autor ab und an. Und den ein oder anderen Writers Room. Das ist dann eine schöne Abwechslung.

Wie sieht ein typischer „Schreibtag“ bei dir aus?

Erstmal ordentlich prokrastinieren. Chai Tea Latte (ohne Wasser, mit Vollmilch und Zimt) von Starbucks ist hervorragend geeignet, nicht nur den Koffeinspiegel, sondern auch das Glücksgefühl erheblich zu steigern. Und damit auch die Motivation. Aber wem sag ich das. Wir haben uns ja oft genug dort getroffen. Wenn ich dann aber im Flow bin, kann es sein, dass ich stundenlang alles um mich herum vergesse. Auch die Gespräche, die ich währenddessen geführt habe.

Eine besonders bescheuerte Anmerkung seitens Produktion/Redaktion zu einem deiner Bücher:

Müssen wir die Serienheldin in Gefahr bringen? Wir wissen doch sowieso, dass sie nicht stirbt.“

Gab es schon mal den Punkt, an dem du ernsthaft dachtest „Scheiß drauf, ich schmeiß die Brocken hin und was mach anderes“?

Stündlich. Aber dann müsste ich mich doch noch vor eine Klasse stellen. Und das macht mir mehr Angst als jede Redaktion.

Führst du auch Regie oder hättest du Interesse Regie zu führen?

Nein. Wenn das Baby draußen ist, nabel ich mich sofort ab. Mir reicht es, meine Sätze aus dem Mund eines Schauspielers zu hören. Das ist auch Magie. Wenn er es gut macht – und natürlich, wenn ich es gut gemacht habe. Sonst kann es weh tun.

Hast du eine Agent*in/eine Agentur? Wenn ja, welche, und was schätzt du daran, eine zu haben? Wenn nein, warum nicht?

Bislang hab ich keine. Ich würde mir aber eine nehmen, wenn es mir allein zu viel werden würde. Oder zu wenig.

Hast du schon mal einen Roman geschrieben, oder willst du einen schreiben?

Ich hab zwei eigenständige Begleitbücher zu „Hinter Gittern“ geschrieben. Um ein Gefühl dafür zu kriegen. Natürlich gibt es da das ein oder andere Thema, das in mindestens sieben Bänden ausgelebt werden möchte. Aber J. K. Rowling ist schwer zu toppen.

Hast du einen Lieblings-Drehbuchautor? Ein Vorbild, eine Inspiration? Mehrere?

True Detective ist für mich die perfekteste Serie überhaupt. Die erste Staffel, obwohl ich die zweite auch gut fand. Also dann wohl Nic Pizzolatto. Perfekt als Film ist Brazil. Ich bete Terry Gilliam an. Irgendwann hab ich ihm bei facebook geschrieben, dass er mich zum Film gebracht hat. Das hat er geliked. Oder jemand, der dafür angestellt ist. Egal, ich war echt stolz.

Was ist/sind dein(e) aktuelles(n) Projekt(e)?

Soko Köln, In aller Freundschaft: Die jungen Ärzte, Rosamunde Pilcher, eine Amazon-Serie (auf Konzeptions-Ebene)

Die letzten drei Filme, die dir gefallen haben:

Hört sich schlimm an, aber bis auf wenige Ausnahmen gefallen mir seit Jahren keine Filme mehr. Vielleicht sehe ich auch nicht die richtigen. Bei Serien aus den USA, GB und Skandinavien geht es mir anders. Das fühlt sich an wie Kino früher. Große Themen, große Dramen, große Gefühle.

Drei Serien, die du momentan gerne siehst:

Sylvia’s Cats. Stranger Things. Und bald auch wieder The Man in the High Castle. Ist ja noch so lang bis zu GoT.

Die letzten drei Bücher, die du gelesen hast:

Meistens lasse ich lesen. Im Auto. Nach der extrem düsteren und überkonstruierten Victoria-Bergmann-Trilogie von Erik Axl Sund freue ich mich, dass Herr Wameling mir wieder den gemütlichen, simplen Jean-Luc Bannalec in falschem Französisch vorträgt. Ich glaube, ich sollte mal in die Bretagne fahren. Dänemark ist ein grausames Land.

Zum Schluss: Irgendwelche weisen Worte für angehende Autoren?

Ich hab viele Autoren ausgebildet. Von der Uni oder als Quereinsteiger, so wie ich selbst. Manche sind tolle Geschichtenerzähler, anderen liegen Dialoge mehr. Nicht viele können beides gleich gut. Allein schon deshalb ist es hilfreich, wenn man nicht allein arbeitet, sondern sich ergänzt.

Zumindest am Anfang. Am besten in Writers Rooms. Storyliner-Teams wie bei den Dailys sind ein gutes Training fürs Handwerk. Und für die Seele. Die muss auf den Tisch, nackt und roh, vor allen entblößt. Nur dann findet sie sich auch im Buch wieder. Daran mangelt es uns noch in diesem Land. An dieser schamlosen, authentischen, verletzlichen Entäußerung. Das muss man sich trauen. Traut Euch! (Pathos-Modus Ende)

Danke für’s Mitmachen, Uschi.